Zweitwohnungsinitiative verschuldet Überangebot an Wohnungen in den Bergen
Seit der Annahme der Zweitwohnungsinitiative im März 2012 wird der Schweizer Markt überflutet von Ferienwohnungen. Mit der vom Volk ins Leben gerufenen Initiative "Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!" sollte der Anteil der Zweitwohnungen innerhalb einer Gemeinde beschränkt werden, da Ferienwohnungen nur einen Bruchteil im Jahr genutzt werden. Zwischen 8'000 und 10'000 Apartments und Chalets kommen seither jährlich auf den Markt. Und die Preise sinken stetig. Vor allem der Kanton Graubünden hat mit einem massiven Überangebot zu kämpfen.
Angst hatten viele, nachdem die Zweitwohnungsinitiative angenommen wurde. Und liessen sich noch schnell ihr Chalet in den Bergen bauen, wenn es bereits bewilligt worden war. Heute, sechs Jahre später, stehen viele dieser Bauten leer.
Gemäss einer Auswertung von Inseraten durch das Immobilien-Beratungsunternehmen Wüest Partner waren Ende September insgesamt 9117 Zweitwohnungen auf dem Markt – das ist rund zweieinhalb Mal so viel wie noch 2003. Allein in der Walliser Gemeinde Crans-Montana stehen derzeit 1437 Zweitwohnungen zum Verkauf, gefolgt von Haute-Nendaz, Verbier und Veysonnaz mit 881. In Davos sind es immerhin noch 257.
Während die Verkaufspreise bis 2014 noch stiegen – zwischen 2008 und 2014 um immerhin rund 27 Prozent –, sieht es heute wesentlich düsterer aus: Die Preise für Zweitwohnungen sind schweizweit um 15 Prozent gefallen. Denn die Nachfrage hat sich verringert: Der immer noch starke Franken hält Ausländer von Investitionen in der Schweiz ab – wesentlich mehr Ausländer verkaufen derzeit Immobilien in der Schweiz als sie kaufen.
Natürlich gibt es nach wie vor eine zahlungskräftige Käuferklientel – doch bei dem enormen Angebot sucht sie sich nur das Beste vom Besten aus. Mehr denn je zählen deshalb die Lage der Immobilie und das Preis-Leistungs-Verhältnis. Und auch dann noch ist es für einen Verkäufer schwer, den Wunschpreis zu erzielen. So stehen nicht nur etliche Ferienwohnungen, sondern auch luxuriöse Häuser und Villen zum Verkauf – teilweise seit Jahren. Berühmtes Beispiel: das „Lonsdaleite“, das teuerste Haus am Sulvrettahang in St. Moritz. Und die bekannte Chesa Miralago im Zentrum des Engadiner Kurorts wurde zwar kürzlich verkauft, allerdings zu lediglich einem Drittel des ursprünglich anvisierten Preises. Das derzeit teuerste Objekt auf dem Schweizer Immobilienmarkt: ein Chalet in Gstaad, das für 35 Millionen Franken zum Verkauf steht. Bei solchen Objekten ist zum Teil jahrelange Geduld gefragt. Wer es sich leisten kann, behält sein Schmuckstück, statt es zu verscherbeln.
Engadin ist besonders betroffen
Die Situation ist nicht überall gleichermassen brisant. Während die Preise für Ferienwohnungen im Engadin in den letzten vier Jahren um sagenhafte 20 bis 30 Prozent gefallen sind, muss ein Verkäufer in Davos mit einem durchschnittlichen Preisabschlag von „nur“ 15 Prozent rechnen. Doch selbst eine Preisreduktion reicht oft nicht: So ist in dem Neubau vor dem „Goldenen Ei“ über ein Drittel der Wohnungen trotz Preisabschlag immer noch nicht verkauft. Hier macht sich vor allem das Ausbleiben der deutschen und italienischen Kundschaft bemerkbar. Und: Das Engadin ist zu weit weg von den städtischen Agglomerationen. Wer in der Schweiz wohnt und seine Wochenenden in den Bergen verbringen möchte, bevorzugt eine gut erreichbare Ferienwohnung.
Nach wie vor begehrt sind, nicht zuletzt wegen ihrer guten Erreichbarkeit, Wohnungen auf der Lenzerheide und in Flims oder Laax. Destinationen, in denen in den letzten Jahren viel in die Infrastruktur investiert worden ist und in denen der Tourismus boomt.
Verändertes Ferienverhalten
Auch das Wallis hat mit Preisrückgängen zu kämpfen. In Verbier etwa sind die Preise um rund 6 Prozent gefallen – bei älteren Objekten müssen Verkäufer sogar mit einem Verlust von 18 Prozent im Vergleich zu den Preisen von 2016 rechnen. Ähnlich sieht die Situation im Tessin aus: In der Region Ascona sind die Immobilienpreise in den vergangenen zwei Jahren um satte 10 bis 20 Prozent gesunken.
Hauptgrund für diese Entwicklung ist neben der Frankenstärke das veränderte Reiseverhalten: Nur wenige Menschen verbringen heutzutage noch ganze Wochen in ihren Ferienwohnungen. Letztere dienen vor allem für Stippvisiten am Wochenende. Deshalb muss ein Zweitdomizil leichter und schneller erreichbar sein als noch vor 30 Jahren. Ascona hat deshalb bei Einheimischen an Attraktivität gewonnen: Der Gotthard-Basistunnel lässt die Sonnenstube der Schweiz in die Nähe rücken. So kaufen hier inzwischen vor allem Schweizer Ferienwohnungen, während sich ausländische Besitzer von ihren Immobilien trennen. Längere Ferien verbringt die heutige Generation derweil vorzugsweise im Ausland: Aufenthalte am anderen Ende der Welt sind leicht und erschwinglich geworden. Die eigene Ferienwohnung hat damit an Reiz verloren.